Das Wort, das aus dem Schweigen kam
20.12.2023
„Als tiefes Schweigen alles umfing,
da sprang dein allmächtiges Wort
vom Himmel." (Weish 18,14f)
Unsere Welt ist unwahrscheinlich laut geworden. Im Umgang miteinander, in der Presse, im Internet nimmt die Schärfe, die Lautstärke immer mehr zu. Überschriften müssen reißerisch sein, haben mit dem eigentlichen Inhalt, der folgt, manchmal ganz wenig zu tun. Überschriften müssen knallen! Unsere Welt ist unwahrscheinlich laut geworden.
Andreas Knapp beschreibt diese Erfahrung als Einleitung für ein Buch:
Wer sich in einer Gesellschaft befindet, in der viele Leute laut durcheinanderreden, der wird versuchen, noch lauter zu sprechen.
Lärm multipliziert sich.
Ebenso gilt: Je weniger man versteht, umso mehr Worte will man machen. So wird die Sprache zur Quelle aller Missverständnisse (A. de Saint-Exupéry).
Wer hat nicht schon Situationen erlebt, in denen es einfach nicht mehr möglich war, einer anderen Person etwas Wichtiges zu vermitteln. Wir machen dann immer mehr Worte und verstricken uns in endlosen Diskussionen.
Zu viele Worte sind der Tod des Verstehens.
Umgekehrt reichen manchmal ganz wenige Worte zu einem tiefen Ein-Verständnis. Oder sogar nur ein einziges Wort, das stimmt und das trifft. Ein Wort, das sitzt, wie dies aus dem Neuen Testament, das wir in jeder Messe sagen:
„Herr, sprich nur ein Wort,
dann werde ich gesund."
Wenn wir doch solch ein Wort finden könnten!
Gott bringt sich selbst in einem einzigen Wort zum Ausdruck. In diesem Wort, das der Evangelist Johannes den „Logos" nennt, sagt er sich selbst ganz aus. Er ist mit diesem Wort identisch. Wir können Gott beim Wort nehmen.
Gott ist ganz Wort— und der Mensch kann es hören, wenn er ganz Ohr ist. Die Stille ist der Raum, in dem ein Wort wirklich und wirksam ankommen kann.
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott … (Joh 1,1)
Das hören wir im Prolog des Johannesevangeliums am 1. Weihnachtstag.
„Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt."
(Joh 1,14)
Gott ist Mensch wie wir! Er kommt zu uns als kleines hilfloses Kind.
Es ist Kern des christlichen Glaubens, dass Gott ausgesprochen menschlich ist. Das göttliche Geheimnis hat sich ja im Gesicht jenes Mannes aus Nazaret gezeigt. Wir können Gott duzen. Den Unsagbaren können wir vertrauensvoll mit dem „Du“ ansprechen.
Vielleicht ist dieses Wort „Du" unser wichtigstes Wort, unser kürzestes Gebet.
In der Adventszeit des Jahres 1223, also vor genau 800 Jahren, hatte Franz von Assisi eine Idee. Ihm kam der Gedanke, die Weihnachtsgeschichte nach dem Lukasevangelium den Menschen, die nicht lesen konnten, bildhaft und lebendig nahezubringen.
Er wollte damit zeigen, in welcher Armut und Demut Gott in dem kleinen Kind Mensch geworden war. Er sagte, dass er fühlen, riechen, schmecken wolle, was damals in Bethlehem im Stall geschehen ist.
Gott ist einer wie wir geworden, einer den man „duzt“!
Indem er sich klein gemacht hat, hat er uns groß gemacht.
Und das schreit er nicht in die Welt, sondern nur wer leise wird und zuhört und hinschaut, wird es verstehen.
Ihnen und Euch allen wünsche ich im Namen aller haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes Jahr 2024. Danke für alles entgegengebrachte Vertrauen, alle Unterstützung und Mitarbeit im vergangenen Jahr!
Ihr/Euer
Josef Wilken, Pfarrer
Foto: J. Wilken; Krippenkapelle in Greccio